Du lächelst; immer und immer wieder. Immer dann, wenn’s von dir erwartet wird. Und auch dann, wenn’s nicht so ist, weil’s dir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Strahlst in die Kameras dieser Welt, kommst kaum hinterher die Nachrichtenanfragen auf Instagram zu sichten. Stehst parallel auf dem Stepper, während du für die nächste Algebra-Klausur lernst, durch deine Airpods klirrt ein fremdspracher Podcast, denn Frau von Welt kann sich auch in dieser Hinsicht nicht Lumpen lassen. Dass du noch längst keine Frau und schon gar nicht von Welt bist, spielt keine Rolle. Du wirst es sein - und das eher früher als später. Dein Tag müsste 72 Stunden haben, um all deinen Aufgaben nachzukommen; um dem Lernpensum deines Elite-Internats gerecht zu werden, täglich deine sechzig bis hundertzwanzig Minuten Sport zu treiben, zwei Mal die Woche zum Training und ein Mal die Woche zum Musikunterricht zu gehen, an einem Abend die Theater-AG zu besuchen, dich mit den neuesten Trends und Gerüchten auseinander zu setzen, Zeit mit deinen Freundinnen zu verbringen und - ach ja - bei jeder High Society Party deiner Eltern aufzutauchen, wenn die es gerade für notwendig befinden, dein pubertäres Leben höchstbietend an die Klatschzeitschriften zu verhökern. Du bist 17 und dein Terminkalender lässt selten weniger als eine 70-Stunden-Woche zu, aber was soll aus dir werden, wenn du nicht jetzt schon anfängst, die Grundsteine für deine Zukunft zu legen?
Dass du mit dem sprichwörtlich goldenen Löffel im Mund geboren wurdest und technisch gesehen wahrscheinlich keinen Finger krumm machen müsstest und trotzdem zeitlebens ausgesorgt hättest, ändert nichts an dem Erwartungsdruck, der auf deinen durchtrainierten Schultern lastet. Der Druck, eine Crescent zu sein; eine vom Nebenzweig, Tochter der Zweitgeborenen, die nicht in den Genuss der primären Aufmerksamkeit, die mit diesem Namen einhergeht, kommt - und alles Erdenkliche dafür tut, sie trotzdem zu erlangen. Du bist in der Hinsicht eindeutig die Tochter deiner Mutter, hast ein bisschen zu viel Enthusiasmus abbekommen, der dann aber doch nicht reicht, um dir auf dem Schulhof die Krone aufzusetzen. Vermutlich könntest du, wenn du’s wolltest, aber wenn du eins recht schnell hast lernen müssen, dann, dass in deinen Kreisen nur sehr wenigen Menschen zu trauen ist. Und du? Du traust eigentlich sowieso nur einer so richtig. Deiner besten Freundin, ergo der, die sich an deiner statt selbst gekrönt hat. Schmerzte damals ein bisschen in deinem crescent-Herz, aber im Grunde weißt du, dass sie’s besser macht, als du. Denn du, ja du erfüllst nur ein Bild - das Bild, das andere von dir zeichnen. Dabei passt das Bild irgendwie nur so mittelprächtig zu dir, wie das Kleid aus der Vorjahressaison, das jetzt an der Hüfte zwickt, weil du nachmittags ein Macaron zu viel gegessen hast. Schade.