Wie wär’s damit: ich verspreche, immer ne Hand nach dir auszustrecken, damit du nicht verloren gehen kannst.” Echt fucking cheesy, besonders da du deine eine Hand auf die Brust legst, wie bei nem Schwur - aber du hoffst, dass es ihr zumindest nen Schmunzeln auf die Lippen zaubert.
- Oliver Harington
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Weißt, dass jeder über dich redet.
Der Stipendiat. Spekulieren alle, wie es bei dir Zuhause aussieht; wie wenig Geld du hast; was wohl mal aus dir werden soll, ohne Familienname, der dich trägt. Sind doch meist zu feige, es dir ins Gesicht zu sagen und so machst du dir nichts draus - lässt sich leichter ignorieren, wenn’s hinter deinem Rücken ist. Ignorierst eh viel, was die nicht passt - und auch die Tatsache, dass du in deine neue Schule genauso wenig hinein passt, wie in deine Alte. Bist nicht mehr so unterfordert, dass du frei drehst; bist nicht mehr so gelangweilt, dass du Unterricht schwänzt, um in der Bibliothek wirklich was Neues zu lernen. Aber bist halt kein Cavendish, Hawthorne oder wie sie alle heißen. Hast kein Trustfund, keine Markenklamotten; kein Sommerhaus an der Küste und ein eigenes Segelboot; keine Dauerkarte für Arsenal - hast ein Kleiderschrank voller H&M und ‘nen Jahresticket für die London Underground. Schämst dich nicht für, aber hängst es auch nicht an die große Glocke weil - willst einer von ihnen sein, von den Schnöseln, mit denen du auf die Schule gehst. Aber willst nicht wie sie sein: nicht blind durchs Leben gehen, geblendet von deinem eigenen Reichtum.
Weißt gerade auch nicht so recht, wer du bist und was du eigentlich willst - willst dazu gehören, aber eigentlich willst du mit einem Großteil des Bullshits der Reichen und Schönen nichts zu tun haben. Willst lernen, aber am Liebsten nur Geschichte; Physik hingegen interessiert dich recht wenig. Willst festhalten an der Beziehung zu deiner Mum, an eurem ‘Wir gegen die Welt’ aber weißt, dass sie Geheimnisse vor dir hat. Entgleitet dir gerade alles; deine Wünsche und Träume, weil die Realität leider anders aussieht, als du sie dir ausgemalt hast; dein Selbstverständnis, weil du dich selbst irgendwie verloren hast und nicht weißt, wie du wieder zurück findest. Dabei bist du eigentlich ein netter Typ - eigentlich ist hier leider das Schlüsselwort.
Wenn deine Mutter dich heute sehen könnte - die schon für damalige Verhältnisse puristische Dame würde sich da glatt im Grab umdrehen. Am Besten gleich mehrmals. Tatsächlich würde wohl nur ein einziger Anblick deines heutigen Ichs reichen, um deiner gesamten Familie einen Herzinfarkt zu verpassen. Aber dafür ist es längst zu spät: deine Familie ist schon seit einem guten Jahrtausend unter der Erde, und ist dort verrottet. Good riddance.
Streng genommen ist die Beatrice, die sie damals gekannt haben - die Beatrice, die du einmal warst - genauso lange tot. Dein Herz schlägt schon ewig nicht mehr. Du bist nicht mehr das schüchterne Mädchen, nicht mehr die brave Tochter und unterwürfige Ehefrau. Bist schon lange nicht mehr zurückhaltend; und unschuldig erst recht nicht. Vor allem aber bist du schon lange kein Mensch mehr - an den meisten Tagen kannst du dich an deine Menschlichkeit auch gar nicht mehr erinnern. Vielleicht auch besser so, als Mensch warst du schließlich schwach - die eine Sache, die du jetzt nicht mehr bist. Bist schon lange ein Vampir, bist eine Volturi. Tödlich, wenn du es sein willst. Aber nicht nur deine Fangzähne haben Biss, deine Worte haben es auch.
Du hast deine Geheimnisse, deine weiche Seite, bei der dir einige sicherlich eine gewisse Schwäche unterstellen würden - aber du weißt, dass dem nicht so ist. Kannst genauso sehr austeilen, wie die anderen. Dennoch überspielst du lieber deine Emotionen, lässt nur die wenigsten so wirklich an dich ran. Stellst ein vorsichtiges kultiviertes Image zur Schau: schlagfertig, argumentativ, laut. So verdammt unlady-like, wie es dir gefällt.
Ganze 31 Jahre weilt Archie nun schon auf der Erde - und eigentlich war er mit seinem Leben immer ganz zufrieden. Privilegierte Kindheit, guter Job und ein schickes Apartment im Zentrum Londons; ein Pass voller Visums-Stempel und ein Kontostand mit ausreichend Nullen am Ende. Was will Mann mehr? Das ist wohl die Frage. Bis vor kurzem hätte er noch eine Antwort drauf gehabt: Liebe, Ehe, Kinder. Das ganze spießige Klischee. Und die passende Frau hatte er doch auch schon gefunden, irgendwie. Das es nie so ganz gepasst hat, er sich selbst irgendwie verbogen hat, um die Beziehung durch unendliche Höhen und Tiefen am Leben zu halten, hatte er gekonnt ignoriert - bis sie dann doch implodierte und er nun vor einem Trümmerhaufen steht. Und jetzt? Irgendwie weiß er das selber nicht. Seine Eltern drängen auf Enkelkinder, auf mehr Erfolg ins einer Karriere - dabei ist er als Data & Analytics Director ziemlich glücklich. Aber er dachte auch lange genug, mit Nova glücklich zu sein, und wie war das bitte geendet?
Durch und durch ein Kleinstadt-Junge - behauptest du gern selber, mit einem Grinsen auf dem Gesicht und ordentlich Stolz in deiner Stimme. Deine Heimat - die kleine Ortschaft East Horsley mit ihrer überschaubaren Einwohnerzahl - ist schließlich ein wichtiger Teil von dir. Ist schon fast etwas wie Familie. Heisst ja nicht umsonst it Takes a Village. Mit deinem Optimismus, sonniger Art und ordentlicher Hilfsbereitschaft bist du auch nicht gerade unbekannt im Ort - kennst jeden, und jeder kennt dich. Genug deiner Nachbarn haben auch mal auf dich aufgepasst, als du noch kleiner warst. Hast dir dein Taschengeld bei ihnen verdient, durch kleine Erledigungen. Bekannt bist du aber vor allem für deine Leidenschaft - nicht nur für die Musik, auch wenn wohl jeder in East Horsley weiß, wie sehr sie dich begeistert und das du auch wirklich Talent hast - sondern für einfach alles. Deine Lebensfreude steht dir einfach ins Gesicht geschrieben.
Das du ein Geheimnis hast - ein wirklich großes Geheimnis - das traut dir niemand zu. Bist doch so nett und verlässlich, immer hilfsbereit, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Lügen & Geheimnisse passen nicht so in das Bild, was andere von dir haben. Bist einfach kein Rebell. Dafür aber ein Gestaltenwandler. Verrückt, oder? Hättest du selbst nicht gedacht und kannst dir das Ganze auch immer noch nicht so recht erklären. Wie sollst du das da anderen erklären? Richtig - gar nicht. Gefällt dir nicht so recht, diese Geheimniskrämerei und bist froh, zumindest deine Mom eingeweiht zu haben. Weißt aber auch ohne die Zurechtweisung deines Vaters, dass die anderen dir eh nicht glauben würden und es wohl besser sei, die Existenz des Supernatürlichen (hallo, du bist hier Teil des supernatürlichen, wtf?) weiterhin geheim zu halten. Machst du auch brav und tust so, als wäre dein Leben normal: Schule, Fußball, Band. Alles beim Alten, oder?
Was für ein Langweiler heißt es gerne mal über dich, und du lachst nur drüber. Kannst gut verstehen, warum einige dich für langweilig halten: mit deinem Job im Finanzrecht, deinem fast schon klischeehaftem Reihenhaus, deinen oft irgendwie gleichen Anzügen und Polo-Shirts, deinem Meal-Prep Plan und regelmäßigen Tennis-Übungsstunden. Wärst du vielleicht 10 oder auch nur 5 Jahre älter, wäre selbst dein Vaterdasein zu erwarten; ein weiteres Puzzlestück im gutbürgerlichen Spießer-Leben. Wirkst auf viele so - und ist dir ganz recht. Bist niemand, der gerne im Mittelpunkt steht und mit irgendwelchen Besonderheiten prahlt. Nein, du gehörst eher zu der stillen Sorte. Bist immer freundlich und höflich, immer aufgeschlossen - für neue Leute, neue Ideen. Aber über dein Privatleben hältst du dich lieber bedeckt. Schämst dich für nichts (mehr) - weder für deine Tochter, die noch vor deinem 18. Geburtstag auf die Welt gekommen ist; noch für deine Sexualität. Letzteres hat lange gedauert, bis du es nicht mehr wie ein Weltuntergang-verursachendes Geheimnis angesehen hast; aber dennoch hängst du es ebenso wenig an die große Glocke, wie die Tatsache, dass du mit knapp 17 Jahren beide deiner Eltern verloren hast. Aus gleichen Grund: geht niemanden etwas an, bis auf dich und deine Freunde, die inzwischen eigentlich längst zu deiner Familie geworden sind. Ist nicht schwer, die wichtigsten Sachen in deinem Leben zu benennen - an erster Stelle steht natürlich deine Tochter, aber genau dahinter deine Freunde. Die vier, mit denen du seit du denken kannst durch dick und dünn gegangen bist; vor denen du keine Geheimnisse hast und für die du alles tun würdest. Weißt auch ganz genau: keiner von ihnen hält dich für einen Langweiler, für einen Spießer. Stattdessen wissen sie alle deine Eigenarten zu schätzen, so wie du ihre. Wohl auch der Grund, warum dich die Meinung anderer in der Hinsicht nicht stört - legst viel mehr wert darauf, als zuverlässig und beständig angesehen zu werden, als wie ein großer Abenteuer. Die Abenteuer, die überlässt du lieber anderen (schreibst selber nur die Packlisten).